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Was die Rechtferdigung bedeutet

Auch angesichts der zuletzt von uns charakterisierten Verschiebung des Problemhorizontes gegenüber der Zeit der Reformation ist an der reformatorischen Exklusivpartikel festzuhalten: Nur im Glauben, nur in dieser konkreten vom Vertrauen geprägten Entscheidung und Erkenntnis (vgl. Artikel 28), ist ein heilsames, den Menschen rechtfertigendes Verhältnis zu Gott möglich. Dies gilt heute in gewissem Sinne noch radikaler als für die Reformation: Ausserhalb des Vertrauens wird Gott überhaupt nicht erkannt. Ausserhalb dieses Geschehens, das wir Glauben genannt haben, gibt es allenfalls ein Verhältnis Gottes zum Menschen (da jeder Mensch vor Gott existiert), aber kein bewüsstes Verhältnis des Menschen zu Gott. In welchem Sinne kann und muss nun aber dieses Verhältnis, das »Leben aus dem Unsichtbaren«, als ein das menschliche Dasein als Ganzes »rechtfertigendes“ verstanden werden? - Hier ist zunächst festzuhalten: dass der Glaube nicht nur als ein Mittel zur Erlangung der Gabe der Rechtfertigung, sondern als die Gabe der Rechtfertigung selbst zu verstehen ist. Dies wird verständlich, wenn wir bedenken, dass der Mensch nicht als ein zunächst isoliertes Subjekt, sondern als eine auf den Mitmenschen, auf das Du hin geöffnete und grundsätzlich bezogene Person geschaffen ist. Dies ist sein Wesen (VgI. Artikel 16.)

Zugleich müssen wir bedenken, dass der Mensch durch die Verschliessung in sich selbst (incurvatio in se) dieses sein eigenes Wesen verleugnet und zerstört und so, als der nach Sinn Fragende, Sinn-Bedürftige, dem Abgrund der Sinnlosigkeit, dem Nichts seiner selbst verfallt: der Sünde.

Eine Rechtfertigung dieser bedrohten, ja de facto zum Nichts verurteilten menschlichen Existenz als ganzer geschieht da, wo die dialogische Offenheit, zu der der Mensch bestimmt ist, wiederhergestellt wird. Dies aber geschieht im Glauben, da, wo der Mensch nicht an sich selber festhalt, sein eigenes Leben erhalten will, das er ja doch gerade dadurch verliert (vgl. Matthaus 16,25), sondern aus dem Unsichtbaren und Unverfügbaren lebt und aus ihm die Kraft zum Bestehen der sichtbaren Situationen, die ihn antreten, schöpft.

Wo er nicht nur gelegentlich, partiell, dem einzelnen menschlichen Du gegenüber, sondern radikal (und also auf das Unsichtbare und Ganze hin, das ihm damit zur Person wird) offen wird. Diese radikale Offenheit des Glaubens, welche das Dasein recht- fertigt, kann vom Menschen nur ergriffen werden als ein Geschenk: indem ihm Gott »von aussen« durch sein Wort begegnet, sich ihm zeigt, so dass der Mensch Gott erkennt und ihn, den Unsichtbaren, als seine wahre Freiheit wählen kann. Rechtfertigung, nunmehr definiert als radikale Offenheit des Glaubens und so als Wiederherstellung der dialogischen Offenheit des Menschseins, bedeutet Vergebung der Sunde und damit ein Leben in wahrer Freiheit.

Alle diese Begriffe sind als ein einziges Ganzes zu verstehen : Es ist nicht so, daB eins das Mittel zum andern wäre, zum Beispiel die Sündenvergebung das Mittel zur wahren Freiheit oder die Rechtfertigung das Mittel zur radikalen Offenheit oder umgekehrt. Sondern die Sündenvergebung ist die Freiheit, die Rechtfertigung ist die radikale Offenheit des Glaubens. - Im besonderen muss die Bedeutung der Sündenvergebung als Ausdruck der radikalen Offenheit des Glaubens herausgestellt werden: Es versteht sich von selbst, daB diese radikale Offenheit zur Person des unsichtbaren Schopfers und Herrn sich als Öffnung in den konkreten menschlichen Situationen und Beziehungen

Heinrich Ott. Die Antwort des Glaubens, s. 295.

 

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